Russlanddeutsche und der Krieg

Wenn die Großeltern Putin-Anhänger sind

06:41 Minuten
Eine Hand hält auf einer Demonstration ein Bild von Russlands Präsident Wladimir Putin hoch. Es trägt den roten Abdruck einer Hand.
Die einen jubeln ihm von Deutschland aus zu, die anderen gehen gegen Putin und den Krieg auf die Straße: Die russische Community ist gespalten. © Imago / ZUMA Wire / Sachelle Babbar
Von Katharina Thoms · 04.03.2022
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Ein Riss geht durch die große russische Community in Deutschland. Der Krieg in der Ukraine spaltet in zwei Lager: Kinder streiten mit ihren Eltern, Großeltern jubeln dem Regime in Russland zu, Freundschaften stehen vor der Zerreißprobe.
Wut. Ohnmacht. Und manchmal auch Resignation. Das ist der Gefühlsmix, den viele Menschen mit russischen Wurzeln in Deutschland aktuell durchleben:
„Ich versuche, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Dafür ist mir das Leben ein bisschen zu kurz.", sagt Ina Martin. Sie steht an der Kasse in einem russischen Supermarkt in Baden-Baden, als sie von den Belastungen in ihrer Familie erzählt.

Engstirnige ältere Generation

Sie will unbedingt öffentlich sprechen und ist damit momentan eine Ausnahme. Der Konflikt geht mitten durch ihre Familie: „Ich bin eine Mischung aus Russisch, Kasachisch, Ukrainisch und Deutsch.“
Vor allem der russische Familienteil sei gerade herausfordernd: „Meine Großeltern väterlicherseits sind erst vor kurzem wieder von Russland hierhergezogen, und soweit ich die kenne, sind die auch Putin-Anhänger.“ Kurz nach Kriegsbeginn hat die junge Frau mit dem dunklen Zopf mit ihren Großeltern telefoniert, und die wollten sie dann aufklären, berichtet sie.
„‘Glaubt den deutschen Medien nicht, dies und das ist nicht so.‘ – ‚Habt ihr den deutschen Fernseher angeschaltet oder nur die russischen Programme?‘ – ‚Nee, nee, nur russische Programme.‘ Das heißt, von der älteren Generation denke ich, dass viele einfach engstirnig sind, weil sie diese Vaterlandsliebe von klein auf mitbekommen haben.“

Studien über die Verbreitung von Propaganda

Andere - wie Julia Smirnova - sagen: „Das ist Kriegspropaganda.“ Smirnova ist Analystin beim Londoner Institut für strategischen Dialog. Ein Think Tank zur Extremismusforschung. Smirnova forscht zu russischer Desinformation.

Die russischen Staatsmedien, die russische Regierung behauptet, dass die Ukraine Aggressor seien. Dass in der Ukraine ein Nazi-Regime noch immer an der Macht ist. Das stimmt nicht. Also Falschinformationen, die bewusst verbreitet werden, mit dem Ziel, diesen Krieg zu unterstützen.

Julia Smirnova, Extremismusforscherin

In zwei aktuellen Studien hat Julia Smirnova untersucht, wie stark verbreitet russisch gelenkte Propaganda und Falschinformationen längst auch in deutschsprachigen sozialen Medien sind. Dutzende Facebook- und Telegram-Gruppen von Coronaskeptikern, Verschwörern und rechten Accounts teilten auf ihren Kanälen schon lange bevorzugt russische Medien wie RT Deutsch oder Sputnik, sagt sie.

Die Rolle von RT Deutsch

Es sind Portale, die gezielt auch hier eins zu eins Informationen der russischen Regierung verbreiten, erläutert die Analystin: „Diese Szene kannte schon RT Deutsch aus anderen Themen. Und deshalb ist es auch nicht überraschend, dass jetzt auch Inhalte von RT Deutsch über den Krieg in der Ukraine geteilt werden.“
Inzwischen werden Sputnik und RT Deutsch zensiert: In der EU dürfen sie ihre Inhalte nicht mehr verbreiten. Aber auf alternativen Plattformen wie Telegram wächst die Followerzahl täglich. Und die russische Propaganda funktioniere auch über viele falsche Profile in den sozialen Medien.

Krude Videos kursieren

Gerade kursiert ein Video im Netz. „Gottchen, wie die die Leute für dumm verkaufen“, meint Valeria Krüger dazu. Die Russlanddeutsche aus Stuttgart hat es auch zugeschickt bekommen: „In diesem Video macht sich ein russischer junger Mann darüber lustig, wie die Berichterstattung im Westen aussieht. Man sieht, dass da irgendwie so Leichensäcke liegen.“
Angeblich seien Dutzende Tote in der Ukraine zu sehen: „Und dann auf einmal bewegt sich ein Leichensack." Die Botschaft: Alles nur schlechtes Theater. „Westliche Zombiepropaganda“, so Krüger.
Der dort kommentierte Bericht ist in Wirklichkeit eine Fernsehreportage  über Klimaproteste in Österreich - mit symbolischen Klimatoten, die am Boden liegen. „Es geht halt um was ganz Anderes“, sagt Krüger. „Aber die Russen verstehen das natürlich nicht. Es wird ihnen so verkauft, dass es jetzt gerade um die Berichterstattung über die Kriegshandlungen in der Ukraine geht.“

"Sie hat gesagt: 'Putin macht das richtig'."

Das macht sie fassungslos. Auch weil eine gute Freundin ihr das Video geschickt hat: Russlanddeutsche wie sie, seit 26 Jahren in Deutschland zu Hause, aber deutschen Medien traue diese bis heute nicht.
„Bei dieser Gelegenheit, hat sie dann auch gesagt: Der Putin macht das richtig und so weiter. Man muss dazu sagen, dass sie noch sehr viele Freunde in Russland hat und ihre Informationen aus Russland bekommt. Und da ist sie auch auf einem ganz anderen Kenntnisstand. Sie wissen zum Beispiel überhaupt nicht, dass jetzt in der Ukraine momentan zivile Ziele bombardiert werden.“
Valeria Krüger schüttelt den Kopf im Videointerview. Sie und ihre Freundin arbeiten gerade in Südafrika an einer deutschen Schule. Aber auch dort ist der Krieg Thema Nummer eins. Sie wollen es jetzt lieber meiden: Denn sonst bestehe die Gefahr, dass sie sich zerstreiten.

Und in dem Moment fängst du natürlich an, über die Freundschaft nachzudenken. Auf Russisch sagt man: Sag mir, wer dein Freund ist, und ich sage dir, wer du bist. Und auf einmal merkst du, dass da so gravierende Unterschiede sind in der Weltanschauung.

Valeria Krüger, Russlanddeutsche

Sergej Prokopkin kennt diese Gefühlsachterbahn. Der Russlanddeutsche aus Berlin hatte schon vor Jahren Streit mit seiner Familie wegen russischer Falschinfos: „Da fühlte ich mich allein und wusste nicht, wohin. Diesmal dachte ich mir, ich würde gleich anfangen, mich über diese Problematik auszutauschen.“
Prokopkin hat darum eine Online-Gesprächsreihe gestartet: Wer gegen Falschinfos kämpft, kann sich anmelden. Oft verlaufe die Konfliktlinie zwischen Älteren und Jüngeren, sagt der Antidiskriminierungscoach.

Viele haben sich stark zerstritten oder die Familie verlassen und sagen aber trotzdem, dass sie hinter der Familie stehen, weil sie emotional verbunden sind. Und jetzt habe ich den Eindruck, die jungen Menschen beginnen, immer stärker dagegen vorzugehen und trauen sich mehr, durch Vernetzung.

Sergej Prokopkin, Russlanddeutscher und Antidiskriminierungscoach

Bis zu 30 Leute tauschen sich in seinen Runden bisher aus. Und trotz vieler Streitpunkte untereinander: Den Krieg lehnen die meisten ab. Da könne man ansetzen, sagt Prokopkin.

Russische Desinformation

„Wenn Menschen bereit sind zu sprechen, wäre es wichtig, sich ein Ziel zu setzen: Was möchte man eigentlich erreichen? Bei mir ist es so, dass wir uns gegenseitig einen so bestimmten Zeitabschnitt für Argumente geben und mein Bruder moderiert, sodass keiner irgendwie sich im Wort vergreift oder die Zeit überschreitet.“
Auch Valeria Krüger hofft, dass sich bei ihrer Freundin noch etwas bewegen lässt. Klar: Die massenhafte russische Desinformation wird auch trotz der Sperren nicht verschwinden, sagt die Analystin Julia Smirnova. Trotzdem sieht auch sie Hoffnungszeichen: „Es gibt auch sehr viele Inhalte gegen den Krieg, die auch, über soziale Netzwerke auf Russisch verbreitet werden.“

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